Dass ein kompletter Rauchstopp die beste Variante für die Gesundheit darstellt, ist unbestritten. Doch nicht jedem Raucher gelingt der Verzicht auf die Zigarette. In den letzten Jahren wurde daher das Schlagwort «Harm Reduction» immer häufiger auch in Verbindung mit Tabakkonsum verwendet. Was wird darunter verstanden und kann der Umstieg auf potenziell weniger schädlich Produkte wie z.B. E-Zigaretten oder Tabakerhitzer eine Alternative zum Rauchstopp darstellen? Eine Annäherung.
Rauchen schadet der Gesundheit – soweit, so unbestritten. Tabakkonsum ist der wichtigste vermeidbare Risikofaktor für chronische, nicht übertragbare Krankheiten wie COPD, Krebs oder Herz-Kreislauf-Krankheiten [1,2]. Zudem gilt er als wichtigste Einzelursache für den Verlust an Lebensqualität und Lebensjahren [3]. Zu den meisten Folgen hinsichtlich Raucher-bedingter Todesfälle gehören Krebserkrankungen – allein 90% aller Lungenkrebsfälle lassen sich auf den regelmässigen Gebrauch von Zigaretten zurückführen [4]. In der Schweiz sterben jährlich rund 9500 Menschen an den Folgen von Rauchen, was 15% aller Todesfälle entspricht [3].
Schon eine Zigarette kann die Gesundheit beeinträchtigen
Landläufig unbekannt ist, dass die Menge des Tabakkonsums hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigung gar nicht so ausschlaggeben ist. Bereits eine Zigarette pro Tag kann das Risiko einer koronaren Herzkrankheit und eines Schlaganfalls um den Faktor 1,48 bzw. 1,25 deutlich erhöhen. Damit liegt das Risiko lediglich ca. 50% niedriger als bei Menschen, die 20 Zigaretten pro Tag konsumieren [5]. In der Schweiz, zum Beispiel, greifen rund zwei Mio. Menschen zum Glimmstängel [3]. Dabei laufen Präventionsprogramme auf vollen Touren. Das übergeordnete Ziel ist es, die tabakbedingten Todes- und Krankheitsfälle in der Schweiz weiter zu reduzieren. Der Erfolg lässt allerdings auf sich warten. Im Jahr 2018 stieg der Anteil der Schüler, die mindestens einmal im Leben herkömmliche Zigaretten geraucht zu haben, über die Altersgruppen stark an: bei den 11-Jährigen waren es bei den Jungen 5,7% und bei den Mädchen ungefähr 2%, bei den 15-Jährigen lag der Anteil bereits bei 35,4% der Jungen und 29,8% der Mädchen [6]. Von den täglich rauchenden 15-Jährigen (5,6% bzw. 3,5%) rauchte gut die Hälfte maximal fünf herkömmliche Zigaretten pro Tag, ungefähr ein Drittel rauchte 6–10 herkömmliche Zigaretten pro Tag und jeder Sechste konsumierte mehr als 10 herkömmliche Zigaretten pro Tag. Das Erschreckende: Im Durchschnitt verlieren Raucher 14 Jahre ihres Lebens – die Hälfte erreicht nicht einmal das 70. Lebensjahr [7].
Programme zur Rauchentwöhnung eher mangelhaft
Ärzte und Bund schlagen schon lange Alarm. Daher wurde ein grösseres Augenmerk auf die Rauchentwöhnung gelegt und Programme mit Nikotinersatzprodukten, Medikamenten und weiteren unterstützenden Massnahmen aufgesetzt. Doch durch die psychische und physische Abhängigkeit, zahlreiche Alltagsrituale und soziale Einflüsse ist die Tabakabstinenz für die meisten Raucher ein langer und schwieriger Prozess [8]. Die Tabakentwöhnung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen des Betroffenen, verspricht aber mehr Aussicht auf Erfolg, wenn unterschiedliche Strategien kombiniert werden. Die Nikotinsubstitution erleichtert die Entwöhnung und reduziert die Entzugssymptome (Übersicht 1). Ähnlich hoch soll die Erfolgsrate mit Varencilin oder Bupropion liegen. Auch, wenn in Studien Abstinenzraten über 12 Monate zwischen 22% (Varencilin) und 15% (Bupropion) genannt werden, werden diese im Praxisalltag nicht immer erreicht [8].
Erfolgskonzept Harm Reduction?!
Ein Schlagwort, das bereits seit Längerem im Rahmen der Rauchentwöhnung genannt wird, ist Harm Reduction. Darunter werden Methoden, Programme und Praktiken verstanden, die darauf abzielen, die individuellen und gesellschaftlichen Schäden des Gebrauchs von legalen und illegalen Drogen von Menschen zu reduzieren, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, deren Gebrauch einzustellen. Die Hauptmerkmale des Harm Reduction Ansatzes sind auf die Vermeidung gesundheitlichen Schäden der Einnahme gerichtet – im Gegensatz zu einer Verhinderung des Konsums an sich [11]. Das Prinzip der Schadensreduzierung beruht darauf, dass zwar die vollständige Abstinenz als das ideale Endziel angesehen wird, gleichzeitig aber anerkannt wird, dass nicht allen Konsumierenden der Ausstieg gelingt. Die Harm Reduction ist ein pragmatischer, inzwischen weit akzeptierter Ansatz.
In Hinblick auf den Tabakkonsum bedeutet Harm Reduction der Umstieg von Zigaretten auf potenziell weniger schädliche Produkte. Zu diesen zählen beispielsweise E-Zigaretten und Tabakerhitzer. Während beide batteriegetrieben sind, ein Aerosol generieren und keine Asche produzieren, gibt es aber auch Unterschiede zwischen den Produkten, deren Bezeichnungen häufig synonym benutzt werden. Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass E-Zigaretten sogenannte Liquids verdampfen, die aromatisiert werden und nur das aus der Tabakpflanze extrahierte Nikotin enthalten. Tabakerhitzer (HTP), auch als «Heat-not-Burn»-Produkte bezeichnet, verwenden hingegen speziell aufbereiteten Tabak, der direkt erhitzt und nicht verbrannt wird, um ein Aerosol zu generieren. Durch ein patentiertes Heizsystem wird der Tabak auf einen präzise kontrollierten Temperaturbereich von bis zu maximal 350°C erhitzt. Diese Temperatur liegt deutlich unter dem Bereich der Verbrennung. In den hohen Temperaturen der Glutzone von 600 bis 900°C verbrennen sowohl der Tabak als auch die Zusatzstoffe der normalen Zigarette. So entsteht die für Tabakrauch typische Zusammensetzung aus Wasser, Nikotin und potenziell schädlicher Bestandteile. Dazu gehören u.a. Kohlenmonoxid, Formaldehyd, Acetaldehyd, Acrolein, Benzene, Benzopyrene und Butanone [12].
Gesundheitsrisiko potenziell verringern
Ein aktueller Review von Studien hinsichtlich des gesundheitlichen Outcomes von electronic nicotine delivery systems (ENDS/elektronische Nikotinabgabesysteme) konnten nicht nachweisen, dass ENDS schädliche kardiovaskuläre Erkrankungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) verursachen [13]. Ziel des Reviews war es, Studien zu identifizieren sowie deren Stärke und Qualität der Evidenz zu bewerten und kritisch zu beurteilen, die über Krankheitsendpunkte im Zusammenhang mit der Verwendung von ENDS berichtet haben. Bei der Datenbanksuche wurden 755 Studien und in anderen Quellen 265 Studien gefunden; 37 Studien erfüllten die endgültigen Zulassungskriterien. Die Analyse hat nicht gezeigt, dass ENDS eine Ursache für schädliche CVD-Ergebnisse sind; darüber hinaus war der Wechsel von Zigaretten auf E-Zigaretten mit einer verbesserten Kontrolle des Bluthochdrucks und einer Verringerung der Exazerbationen bei COPD assoziiert.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Japanische Studie, die eine Zeit-Trend-Analyse von Daten aus der Datenbank des Japanese Medical Data Center (JMDC) durchgeführt hat [14]. Konkret wurden dafür die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), Exazerbationen und akuter ischämischer Herzkrankheit (IHD) vor und nach der Einführung von von HTPs auf dem japanischen Markt ausgewertet. Dabei konnte eine signifikante Verringerung der Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen COPD nachgewiesen werden. Auch konnte eine nicht signifikante Verringerung der Krankenhausaufenthalte für COPD in Kombination mit Infektionen der unteren Atemwege sowie für IHD nach Einführung der HTP beobachtet werden.
Ein Anfang scheint gemacht
Japan ist Spitzenreiter im HTP-Markt. Zwar ging der Zigarettenabsatz bereits zwischen 2011 und 2015 langsam aber stetig zurück. Allerdings beschleunigte sich dieser ab 2016. Der beschleunigte Rückgang der reinen Zigarettenverkäufe in Japan seit 2016 korrespondiert mit der Einführung und dem Wachstum des Absatzes von HTPs (Abb. 1) [15]. Das ist umso bemerkenswerter, als sich die Gesundheitsbehörden weitgehend gegen die Vermarktung von HTPs ausgesprochen haben. Darüber hinaus gibt es in Japan keine strengen Massnahmen zur Eindämmung des Rauchens und oder ein Vermarktungsverbot von ENDS, die in den Vereinigten Staaten und in England mit einem Rückgang der Zigarettenverkäufe in Verbindung gebracht wurden.
Eine Lösung für die Gesundheit?
Die durch Rauchen verursachten Krankheiten zählen zu den grössten Gesundheitsproblemen des 21. Jahrhunderts. Schätzungen besagen, dass bis zum Jahr 2099 rund eine Milliarde Menschen durch die Folgen von Tabakkonsum sterben werden [16]. Letztendlich ist sich jeder Raucher darüber im Klaren, was er seinem Körper antut. Doch häufig ist die Sucht stärker. Eine Strategie zur Schadensminderung wäre der Wechsel zu einem alternativen Angebot der Nikotinabgabe. Dazu zählen Produkte wie rauchloser Tabak, E-Zigaretten oder erhitzte Tabakprodukte. Für Raucher von herkömmlichen Zigaretten bedeutet dies, dass sie ein sehr schädliches Produkt durch ein deutlich weniger schädliches Produkt ersetzen.
Literatur:
- www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/Gesundheitliche_Folgen_des_Rauchens.html (letzter Zugriff am 29.09.2022)
- Steinberg MB, et al.: Nicotine Risk Misperception Among US Physicians. J Gen Intern Med 2020. DOI: 10.1007/s11606-020-06172-8
- www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-fakten-zu-suc… (letzter Zugriff am 29.09.2022)
- Mattli R, et al.: Die Krankheitslast des Tabakkonsums in der Schweiz: Schätzung für 2015 und Prognose bis 2050; Schlussbericht; ZHAW. Abrufbar unter: https://zahlen-fakten.suchtschweiz.ch/docs/library/mattli_ort8gw7xd8ig.pdf
- Hackshaw A, Morris JK, Boniface S, et al.: Low cigarette consumption and risk of coronary heart disease and stroke: meta-analysis of 141 cohort studies in 55 study reports. BMJ 2018; 360:j5855
- www.suchtschweiz.ch/fileadmin/user_upload/DocUpload/HBSC-2018-rr-100.pdf (letzter Zugriff am 29.09.2022)
- www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/sucht-und-gesundheit/tabak.html (letzter Zugriff am 29.09.2022)
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HAUSARZT PRAXIS 2022; 17(10): 58–59